Kanadischer Hausarbeiten-Marathon: No pain, no gain!
Ein Auslandssemester in Kanada ist vor allem eins: viel Arbeit. Neben einem heftigen Lesepensum muss man als Studi jede Woche mehrere Texte abgeben. Das klingt hart, hat aber auch erhebliche Vorteile.
„Von nichts kommt nichts!“ – Das hat schon meine Oma immer gesagt, wenn ich mal wieder über zu viele Schulaufgaben geklagt habe. Die meisten Studierenden - mich eingeschlossen -die in ein Auslandssemester gehen, stellen sich diese Zeit mit viel Reisen, Freizeit und Party vor. Ein Semester in Kanada sieht aber ganz anders aus. Ich habe in meinem letzten Semester in Vancouver zusammengerechnet über 100 Seiten akademischen Text produziert, hatte eine 50- bis 60-Stunden-Woche und habe dabei eigentlich nur drei Kurse belegt. Und ein paar PhD-Bewerbungen verfasst.
Aber fangen wir von vorne an. Das kanadische Universitätssystem ist nach dem Vorbild der USA aufgebaut. Es gibt Undergraduate Programmes (Bachelor), die meistens vier Jahre dauern, und Graduate Programmes (zwei Jahre Master, fünf Jahre mit PhD). Ich mache in Berlin derzeit meinen Master in Geschichte und bin deswegen hier im Graduate Programme. Dass auch PhD-Studierende in den Kursen sind, steigert die Kursqualität deutlich. Aber auch die Ansprüche der Dozierenden und der Arbeitsaufwand sind signifikant höher als in Berlin.
Hausarbeiten? Inzwischen ein Klacks!
Durchschnittlich müssen wir pro Kurs wöchentlich 100 Seiten lesen, nicht selten ein ganzes Buch. Natürlich sind auch die Studierenden hier keine Übermenschen und man liest nicht immer alles ganz genau. Der Begriff Skimming kommt nicht umsonst aus dem Englischen. Aber meistens habe ich doch alles richtig gelesen, weil man sonst im Seminar nicht mitreden kann. Es gibt zudem auch mündliche Noten und Professor:innen haben wenig Verständnis, wenn Studierende sich beklagen oder die Texte nicht gelesen haben.
Hinzu kommt, dass man während des Semesters seine Hausarbeiten planen und schreiben muss. Denn eine Woche nach Ende der Kurse ist schon Abgabe für die Hausarbeiten. Das heißt, man muss schon während der Vorlesungszeit anfangen, seine Hausarbeiten zu schreiben und das Arbeitspensum deutlich nach oben schrauben.
Abgaben hat man aber nicht nur am Ende des Semesters, sondern jede Woche für jeden Kurs. Das Gute daran ist, dass man sich während des Semesters schon ‚warmschreibt‘ und routiniert im Texteverfassen wird. Wenn man jede Woche zwei, drei Seiten Text pro Kurs schreiben muss, und dann noch zwei bis drei größere Abgaben mit bis zu 12 Seiten hat, kommen einem die 30 Seiten Abschlussarbeit am Ende des Kurses wie ein Klacks vor. Mir hat diese Art zu studieren geholfen, mein akademisches Englisch und mein generelles Textgefühl zu verbessern. Das dauernde Produzieren hat allerdings auch Nachteile. Einen langen Gedanken auszuformulieren oder eine gute Idee zu entwickeln braucht einfach seine Zeit. Wenn man ständig etwas produzieren muss, kommt man nicht dazu, in Ruhe nachzudenken - oder sich einfach zu langweilen (sehr hilfreich für kreatives Denken).
Lange Tage und neue Netzwerke
Schön ist, dass es unter den Graduate Students hier einen guten Zusammenhalt gibt. Wir gehen oft zusammen Mittag essen und es gibt auch eine Graduate Lounge, in der man arbeiten und abhängen kann. Dort habe ich viel Hilfe bekommen, wenn ich bei einem Text nicht weiterkam, oder ein Buch nicht finden konnte. Außerdem kann man hier super netzwerken und sich organisieren. Zum Beispiel haben wir einen Cluster organisiert, in dem wir neu erschienene Forschung und Trends diskutieren. Ich habe per Zufall in der Grad Lounge auch von zwei Konferenzen erfahren, für die ich meine Beiträge eingereicht habe und wo ich meine Forschung präsentieren konnte.
Wie ihr vielleicht durch die Zeilen lesen könnt, habe ich eine ambivalente Haltung zum nordamerikanischen Universitätssystem. Auf der einen Seite ist es wirklich hart und ich und die meisten anderen Graduate Studierenden verbringen die ganze Woche auf dem Campus. Ich komme oft gegen 8 Uhr morgens und fahre zwischen 18 und 22 Uhr nach Hause. Dieses System hat aber auch einen großen Vorteil: Es bereitet einen sehr gut auf eine akademische Karriere vor und vermittelt die nötigen Kontakte und das Handwerkszeug, um in der academia weiterzukommen. Insgesamt bin ich froh, meinen Austausch an der University of British Columbia gemacht zu haben - denn von nichts kommt ja bekanntlich nichts.
(Veröffentlicht: 13.03.2023)
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