Per Anhalter:in zur Italienisch-Sprachpraxis
Unterwegs zum Strand von Tarquinia oder auf dem Rückweg vom Vesuv: Wer hätte gedacht, dass ich die meiste Sprachpraxis in Italienisch beim Hitch-Hiking erlangen würde? Wie sich herausstellt, lernt sich Italienisch nicht nur im Sprachkurs!
Mein Auslandssemester wollte ich vor allem wegen der Sprache und Kultur in Italien verbringen. Bereits im Bachelor habe ich mehrere Sprachkurse belegt und hatte so schon vor meiner Abreise nach Rom das B2-Niveau. Die Kurse waren allerdings auch schon eine Weile her, und ich wollte definitiv weiter an meinem Italienisch arbeiten. Bei der Bewerbung an der Sapienza Universität Rom war es wichtig, direkt den Wunsch für einen Sprachkurs anzugeben, da es später nicht mehr möglich ist, sich anzumelden. Sofern man nicht bei A1 startet, wird man dann zu einem virtuellen Einstufungstest eingeladen. Ich entschied mich freiwillig dafür, noch einmal einen B2-Kurs zu belegen, um die Grundlagen aufzufrischen.
Die Realität der ‚Erasmus Bubble‘
Die Sprachkurse finden entweder intensiv vor dem Semester an fünf Tagen die Woche, oder extensiv während des Semesters in zwölf Sitzungen à drei Stunden statt. Ich entschied mich für den extensiven Kurs - mit dem Gedanken, dass ein Kurs über längere Zeit für mich effektiver sein würde. Leider hatte ich wohl mit meinem Kurs nicht sehr viel Glück: Ich konnte am Ende keinen großen Lernerfolg feststellen. Die Sprachpraxis-Übungen machten mir am meisten Spaß, da das fließende Sprechen mein Hauptziel war. Die Grammatikübungen wurden allerdings oft viel zu schnell besprochen und ein Thema nach dem anderen schnell abgehakt. Am Ende bestand ich trotzdem die Klausur und könnte nun immerhin einen C1 Kurs besuchen.
Ein weiterer Grund warum mir der Sprachkurs zu Beginn sehr wichtig war: Ich stellte schnell fest, dass die ‚Erasmus-Bubble’ tatsächlich existiert. Der erste Anlaufpunkt um Freundschaften zu schließen ist in Rom das Erasmus Student Network (ESN). Die Gruppe organisiert zahlreiche Social Events, Ausflüge und Reisen, an denen ich zu Beginn auch oft teilnahm. Das war sehr hilfreich, um neue Leute kennenzulernen, aber natürlich waren diese neuen Bekanntschaften selbst Austauschstudierende, mit denen ich hauptsächlich Englisch sprach. Mit wirklichen ‚locals’ in Kontakt zu treten, war schon schwieriger.
Unterwegs mit Muttersprachler*innen
Eine unerwartete Möglichkeit, mit Italiener:innen in Kontakt zu kommen und mich zu unterhalten, ergab sich einige Wochen nach meiner Ankunft. Mit Freund:innen unternahm ich mit dem Zug einen Tagesausflug in eine Stadt in der Nähe von Rom. Tarquinia, ein schöner kleiner Ort, ist aber doch ein Stück entfernt vom Meer, wo wir im Anschluss hinfahren wollten. Auf den nächsten Bus hätten wir lange warten müssen und entschieden uns daher, per Anhalter:in zu fahren. Natürlich muss jede:r selbst die Risiken abwiegen, wenn er*sie zu Fremden ins Auto steigt. Wir als Gruppe fühlten uns aber sehr sicher und wurden von einer netten älteren Dame mitgenommen. Wir kamen ins Gespräch und erfuhren, dass sie in Tarquinia selbst einmal Tourguide war und uns daher viel zu erzählen hatte.
Bei unserem nächsten Ausflug lernten wir ein älteres neapolitanisches Ehepaar kennen. Nachdem wir eine längere Wanderung entlang des Vesuvs unternommen hatten, um dort den Sonnenuntergang anzuschauen, wollten wir ungern im Dunkeln zurücklaufen. Das Ehepaar fuhr meinen Mitbewohner und mich bis nach unten zum Bahnhof, obwohl es ein Umweg für sie war. Mein Mitbewohner, der nur wenig Italienisch spricht, motivierte mich immer, weitere Fragen zu stellen. So erfuhren wir, dass das Ehepaar aus Neapel kam und im Porzellanhandel gearbeitet hatte, eine Kunst, von der sie sehr schwärmten. Auch hatten sie mehrere Kinder, von denen eins inzwischen in Deutschland lebt. Natürlich fragten sie mich wie es denn „Frau Merkel“ geht, und erklärten mir, dass Ischia, eine Insel direkt vor Neapel, ihr Lieblingsurlaubsort sei. Lange hatte ich nicht mehr ein so ausführliches und unterhaltsames Gespräch auf Italienisch geführt!
Neue Eindrücke und Einsichten
Besonders beeindruckt war ich immer von der Bereitschaft der Leute, uns trotz persönlicher Umwege an unser Ziel zu bringen. Die meisten unserer Begegnungen sagten nur, dass sie sich wünschen würden, dass andere dasselbe für sie oder ihre Kinder tun würden. Als Berlinerin mit italienischem Familienhintergrund war es für mich auch spannend, wieder festzustellen, wie viele Verbindungen Italiener*innen auch nach Deutschland haben - sei es für ihre eigene Arbeit oder durch ihre Kinder, die nach Deutschland ausgewandert sind. Auch war es interessant zu sehen, wie die Leute über uns Deutsche denken: Oft bemerkte die ältere Generation mit der wir redeten in einem überraschten Ton, wie nett wir doch seien.
Letztendlich hat sich mir gezeigt, dass es am wichtigsten ist, eine Sprache auch regelmäßig zu sprechen, um sich zu verbessern. Für mich war es in diesem Fall nicht ein traditioneller Sprachkurs der mir am meisten brachte, sondern Begegnungen mit Einheimischen, die ich nicht missen möchte.
(Veröffentlicht: 12.06.2023)
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