So anders ist Uni in Japan
Seit einigen Monaten studiere ich nun an einer japanischen Universität und habe angefangen, zu verstehen, wie die Dinge hier funktionieren. Dabei konnte ich schon so einige Unterschiede und Besonderheiten feststellen, von denen ich in diesem Blogeintrag berichte.
Zu einem Auslandssemester gehört es, eine neue Umgebung kennenzulernen, sich an ein ungewohntes Umfeld zu gewöhnen und den eigenen Alltag zu Hause aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich bin erst seit ein paar Monaten in Tokio, aber mein Aufenthalt hier erfüllt bereits alle diese Kriterien. In diesem Blog möchte ich über ein paar Unterschiede berichten, die ich zwischen dem Studium an der HU und der Hitotsubashi-Universität, sowie zwischen dem europäischen und dem japanischen Bildungssystem im Allgemeinen feststellen konnte.
An der Hitotsubashi-Universität findet fast das gesamte Studium auf dem Hauptcampus statt. Allerdings tummeln sich hier vor allem Studierende, die noch keinen Abschluss haben. Tatsächlich finden sich in den Graduiertenprogrammen hauptsächlich internationale Studis. Ich habe eine japanische Freundin dazu befragt, und sie meinte nur, dass es wenig Sinn hat, in Japan einen zweiten Studienabschluss zu machen, wenn man nicht auch promovieren will. Auf dem regulären Arbeitsmarkt sei so ein zweiter Abschluss nicht unbedingt ein Vorteil. Aber: Die Japaner*innen betrachten einen als sehr kluge Person, wenn man sich dafür entscheidet: "Amatagaii!"
Für mich war das ein Kontrast zu dem, was ich aus Frankreich kenne, und wo ein Master-Abschluss eigentlich ein Muss ist. Ein weiterer Unterschied ist, dass man in Japan vier bis fünf Jahre studiert, um das Äquivalent eines Bachelor-Abschlusses zu machen. In der Regel sind es vier Jahre, aber man kann aus persönlichen Gründen, wegen Nebenjobs, Praktika und sogar wegen eines Auslandsaufenthalts verlängern. Ich habe viele Kommiliton*innen getroffen, die ein Auslandssemester absolviert haben oder planen, und viele haben mir gesagt, dass sie nach Deutschland gehen wollen.
Anwesenheitsregeln und Noten
Als mein Semester in Tokio begann, war einer der ersten Unterschiede, mit denen ich konfrontiert war, dass die Anwesenheit hier benotet wird. Man muss zum Unterricht erscheinen, sonst werden Punkte von der Note abgezogen. Das Gleiche gilt fürs Zuspätkommen. Wenn man krank ist, muss man ein ärztliches Attest vorlegen, sonst wird es auch als Abwesenheit gewertet. Einige Dozent:innen sind in dieser Hinsicht sehr streng: Eine meiner Freundinnen hat sich den Fuß gebrochen, und obwohl die Professorin sie auf ihren Krücken gesehen hat, zählt sie sie als abwesend, wenn sie wegen der Schmerzen mal nicht zur Uni kommen kann. Ich persönlich finde das ziemlich übertrieben. Zum Glück sind nicht alle Professor:innen so! Der Vorteil der Anwesenheitspflicht ist, dass alle zur Universität gehen müssen und man sich so persönlich kennenlernt. Als Austauschstudentin weiß ich das sehr zu schätzen.
Insgesamt gefällt mir das Benotungssystem der Universität hier. An der HU hängen die meisten meiner Noten von einer Prüfung am Ende des Semesters ab, während man hier eher kontinuierlich arbeitet und während des Semesters mehr lernt. Es gibt mehrere Hausarbeiten oder Präsentationen und manchmal eine zusätzliche Prüfung am Ende. Ich persönlich empfinde das als weniger stressig.
Aktive Teilnahme und Kultur
Ich habe viele Kurse, in denen wir im Durchschnitt nur zehn Personen sind. In einigen davon stehen Seminargespräche im Vordergrund und die aktive Teilnahme wird ausdrücklich gefördert. Dies scheint jedoch nicht die Norm zu sein: Meine japanischen Freund*innen im Grundstudium haben mir erzählt, dass sie selten nach ihrer Meinung oder Auffassung gefragt werden. Eine meiner Freundinnen bestätigte mir, dass sie es aus ihrer Schulzeit auch nicht anders kennt.
Nach diesen Gesprächen ist mir in mehreren Situationen aufgefallen, dass die japanischen Studierenden es nicht gewohnt zu sein scheinen, sich in Lehrveranstaltungen zu äußern. In einem meiner Kurse bin ich zufällig die einzige Austauschstudentin und außer mir gibt es nur einen weiteren Kommilitonen, der Fragen stellt. Die sechs anderen Japaner:innen sagen so gut wie nie etwas. Eine Freundin erzählte mir, dass ihre Professor:in in einem ihrer Kurse die Studierenden aufforderte, ihre Meinung zu einer politischen Frage zu äußern. In Europa wäre das in einem Seminar kein Problem, aber in diesem Fall fühlten sich viele der Kursteilnehmer*innen damit nicht wohl. Natürlich gibt es Ausnahmen. Einige "Europäer:innen" sind in Lehrveranstaltungen still, und einige "Asiat:innen" sind sehr aktiv dabei. Für mich sind das nur Tendenzen, die ich beobachtet und von denen ich gehört habe.
Nachdem ich in Frankreich und dann in Deutschland studiert habe, muss ich sagen, dass ich mein Studium hier in Japan sehr genieße. Ich bekomme hier eine neue Perspektive auf das Lernen, Lehren und das Universitätsleben. Hier gibt es zum Beispiel auch Campus-Clubs, Aktivitäten und sogar ein Universitätsfestival. All das macht den Campus sehr lebendig. Ich habe das Gefühl, an den neuen Eindrücken und Erlebnissen persönlich zu wachsen und kann sagen: Ich habe von diesem Austausch wirklich nicht zu viel erwartet!
(Veröffentlicht am 27.11.2023)
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